Epilog: Andreas Eickelkamp war freier Journalist und bis Ende 2012 Dozent für Journalistik an der Freien Universität Berlin. Nach seinem Studium der Biologie in Berlin und Hamburg absolvierte er von 1995 bis 1997 ein Volontariat bei der Tageszeitung Magdeburger Volksstimme. Dort haben wir uns kennengelernt. In einem Promotionsvorhaben über Nutzwertjournalismus an der Universität Leipzig, betreut von Professor Dr. Michael Haller, erwarb er 2009 den Doktorgrad. Am 31. Juli 2020 ist er gestorben. Er war mein Freund. Diesen Artikel von 2009 veröffentliche ich zum ersten Mal; er hatte ihm damals nicht so gut gefallen.
Der Presserat ist ein zahnloser Tiger. Jeder weiß das. Doch wie so viele Selbstkontrollgremien in diesem Land nützt die Placebo-Politik anscheinend mehr Leuten als sie schadet. Oder ist das Problem, dass die Opfer von manipulierter Nutzwertberichterstattung durch Schleichwerbung unter dem Deckmantel von Journalismus gar nichts bemerken? Dass sie sich nicht zu wehren wissen? Oder abgestumpft sind? Andreas Eickelkamp hat den Presserat ernst genommen – und bemerkenswerten Erfolg gehabt.
Andreas Eickelkamp, Doktorand der Journalistik zum Thema Nutzwert im Journalismus, hat sich beschwert. Beim Presserat. Über seiner Meinung nach eindeutige Grenzüberschreitungen, die den Pressekodex, dem sich alle Medien in Deutschland verpflichtet fühlen sollten, verletzen. Er hat das nicht nur einmal getan, sondern neunmal. Nicht nur in einem Fall, sondern in 55 Fällen.
Wenn man anfängt, sich damit zu beschäftigen, kann man leicht denken: Was für ein Querulant, was für ein Besserwisser, ein Erbsenzähler, eine Nervensäge. Denn zu sehr hat man sich schon daran gewöhnt, was viele (nicht alle) Zeitschriften und Zeitungen sich Tag um Tag erlauben. Zu gewieft und abgebrüht ist man selbst schon, sogar oder gerade als Journalist, um sich darüber noch aufzuregen.
Zu viel Medienkompetenz besitzt man selbst und doch eigentlich auch die meisten anderen Laien-Leser mittlerweile, so dass man denkt: Wer fällt denn auf die Tricks der Anzeigenabteilungen der Verlage noch herein? Schaut man sich aber die Beschwerden und vor allem auch die Antworten des Presserats einmal genauer an, kommt man schnell ins Grübeln.
Überall „Ponal“
In der Zeitschrift für Heimwerker „Selber machen“ 9/2007 fallen Eickelkamp im redaktionellen Teil der Zeitschrift Schritt-für-Schritt-Anleitungen auf. An und für sich gut gemachter Nutzwertjournalismus. Doch dass auf den dort abgebildeten Geräten, Materialien und Produkten überall Herstelleretiketten abgebildet sind, macht ihn stutzig. Es gebe kein „begründetes öffentliches Interesse oder Informationsinteresse der Leser“ dafür, moniert er. So sieht der Leser auf den Schritt-für-Schritt-Fotos etwa den Holzkleber „Ponal“, das Malerkrepp „Tesa“, eine Bohrmaschine von „Kress“, Tapetenkleber von „Methlan“ – und so weiter und so fort. Zusammen mit dem eingehefteten Spezialheft sind es 20 verschiedene Bilder, die dem Nutzwertjournalisten spanisch vorkommen. Der Vorwurf, der hier nahe liegt: Die ganzen Produkte auf den Bildern wurden bewusst platziert, um für die Hersteller einen Werbeeffekt zu erzielen. Selbst in einem Leserbrief gelingt es der Redaktion in der Antwort ein Produkt unterzubringen. Da einige Firmen gleichzeitig mit Anzeigen im Heft vertreten sind, entsteht der Verdacht, dass es sich hier um so genannte Koppelungsgeschäfte handelt, die, man ahnt es, laut Pressekodex verboten sind. Denn das wäre Schleichwerbung, da der Leser nicht ahnt, dass dafür Geld oder andere geldwerte Vorteile geflossen sind.
Chefredakteur beschwichtigt
Der Chefredakteur von „Selber machen“ aus dem Hamburger Jahreszeiten Verlag teilte auf Nachfrage des Presserats mit, dass Redaktion und Anzeigenabteilung im Verlag selbstverständlich „strikt getrennt“ und Product Placement schlicht verboten seien. Um den Erfolg der Anleitungen durch den Leser sicher zu stellen, sei der Einsatz der richtigen Produkte jedoch entscheidend. „Hätte er recherchiert“, so die selbstbewusste Replik des Chefredakteurs an den Beschwerdeführer, „wäre er zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Produkte in ihrem Marktanteil teilweise über 95%“ lägen und deswegen für Heimwerker zu so etwas wie Gattungsbegriffen geworden seien. Die Redaktion würde Geräte aller großen Hersteller „ohne Vorgaben“ einsetzen. Diese leiht sich die Redaktion anscheinend, denn sie würden „am Ende ihrer Einsatzzeit an den Hersteller zurückgegeben“. Eine Vergütung erfolge nicht, steht noch im Protokoll des Presserats. Die Hersteller verleihen ihre Geräte also kostenlos, so denkt man sich, in der berechtigten Hoffnung, dass diese später auf den Fotos im Heft erscheinen.
Was sagt der Presserat?
Der Presserat hat die Beschwerde am 28. November 2007 mit 5:2-Stimen als „unbegründet“ abgewiesen. Das Gremium akzeptierte dabei die Begründung der Chefredaktion, „dass bei der Dokumentation von Arbeitsschritten bestimmte Produkte zwangsläufig ins Blickfeld geraten müssen“. Das Gremium weist jedoch darauf hin, künftig darauf zu achten, dass sich Abbildungen desselben Produkts innerhalb eines Beitrags nicht häufen. Denn „damit würde die Grenze zur Schleichwerbung überschritten“.
Selbst ist der Mann
Mehr Erfolg hatte Eickelkamp mit seiner Beschwerde über die Zeitschrift „Selbst ist der Mann“ aus dem Hamburger Heinrich Bauer Verlag, Ausgabe 9/2007. Der Vorwurf ist wieder derselbe: In 19 Fällen würden Produkte absichtsvoll in Szene gesetzt. Die Redaktion ließe damit Werbung im redaktionellen Teil zu. Zwar fand der Presserat wie bei „Selber machen“, dass in der Mehrzahl der vorgelegten Fälle die Darstellungen akzeptabel seien. Der Beitrag mit der Überschrift „Klang-Tower“ ging dann jedoch selbst den vier Herren und drei Damen des zuständigen Beschwerdeausschusses zu weit. In dem Artikel über den Selbstbau von Lautsprechern sei „eine Grenze überschritten“ worden. „Hier ist auf drei Seiten fünfmal das Logo des Herstellers „Metabo“ auf einer Maschine zu erkennen. „Diese Häufung ist nicht vertretbar, da der Hersteller durch sie einen Wettbewerbsvorteil gegenüber seinen Mitbewerbern erhält“, urteilt der Ausschuss. Mit 4:1 Stimmen bei zwei Enthaltungen beschließt das Gremium: Dies ist Schleichwerbung. Man empfiehlt der Redaktion, künftig darauf zu achten, dass Marken bzw. Logos nicht so gehäuft zu sehen sein sollten wie im konkreten Fall. Und ins Stammbuch der Chefredaktion geschrieben: „Eine Dokumentation der einzelnen Arbeitsschritte ist auch ohne die ständige Erkennbarkeit der Produkte möglich.“ Die Redaktion erhält für all das im Ergebnis jedoch nur einen etwas matten „Hinweis“.
Immer toller führt zur Rüge
Sogar eine „Rüge“ statt eines „Hinweises“ bekam das Blatt „Umbauen und modernisieren“ aus dem Münchner City-Post Zeitschriftenverlag zugestellt. Die Verantwortlichen dort haben es aber auch wirklich doll getrieben. Und sie kennen anscheinend den Unterschied zwischen Anzeigen und Redaktion überhaupt nicht. Eine „Anzeige“ von Moeller-Funktechnik besteht dort aus einem redaktionell aussehenden Textblock und einem klassischen aber ungekennzeichneten Anzeigenformat. Bei einem Expertenbeitrag wird der Rat gebende Rechtsanwalt ausführlich mit all seinen Kontaktdaten vorgestellt, in den zwei Artikeln „Hinter Verschluss“ und „Schutz nach Maß“ wird jeweils ausschließlich Werbung für einen Hersteller („Roto“ bzw. „Weru“) gemacht. Mit immerhin 6:1 Stimmen stellt das Gremium hier Verstöße gegen die Ziffern 7, der „Trennung von Werbung und Redaktion“, und Ziffer 7.1., „Trennung von redaktionellem Text und Anzeigen“, fest. Die Redaktion wird gebeten, die Rüge in einer ihrer nächten Ausgaben zu veröffentlichen. Offensichtlich ist dies schon die schwerste Waffe des Presserats.
Anzeigen als redaktioneller Text
Mit einer Rüge leben muss auch die Zeitschrift „Das Einfamilienhaus“ aus demselben Verlag. Die Redaktion nahm es in ihrer Sonderbeilage „Fenster, Türen und Garagentore“ ebenfalls mit der Trennung von Anzeigen und Redaktion nicht so genau. Auch hier war die trickreich redaktionell gestaltete Anzeige von Moeller-Funktechnik Stein des Anstoßes. In den drei Beiträgen „Schöne Fenster mit Schutz“, „Ein Tor und 1000 Varianten“ und „Mit Sicherheit auch schöner“ wurden Produkte der Hersteller „Kneer“, Teckentrup“ und „Hörmann“ gefeiert. „Ohne redaktionelle Begründung werden die Produkte jeweils eines Herstellers aus einer umfassenden Anbieterpalette heraus gegriffen und ausführlich vorgestellt“, meint der Beschwerdeausschuss mit 4:2 Stimmen. Das ist Schleichwerbung. Nicht beanstandet wurde die von Eickelkamp ebenfalls monierte Anzeige der Firma „Hoesch“ und die digitale Bearbeitung dreier Häuser-Bilder. Im ersten Fall sei für den Leser klar erkennbar, dass es sich um Werbung handele. Im zweiten Fall sei mit der Bearbeitung keine Veränderung oder Verfälschung der Bildaussage erfolgt.
Digitale Fotobearbeitung ist ok
Auch bei der Zeitschrift „Unser günstig gebautes Haus“, wiederum ein Blatt des City-Post Zeitschriftenverlags aus München, richteten sich die Beschwerden von Eickelkamp gegen ungekennzeichnete Manipulationen von Fotos. Auch hier entscheidet der Beschwerdeausschuss des Presserates aber, dass dieses keine Verletzung des Presseratskodex darstelle und weist die Beschwerde einstimmig als „unbegründet“ ab.
„Fliege“ bekommt einen Hinweis
Die Lebenshilfe-Zeitschrift „Fliege“ des Tutzinger Fliege Verlags erhält einstimmig den Hinweis, künftig werbliche Texte auch entsprechend zu kennzeichnen. In der Ausgabe 2/2007 hatte die Zeitschrift unter der Überschrift „Bachblüten – Die sanfteste Versuchung der ganzheitlichen Medizin“ einen Beitrag zum Thema Bach-Blüten-Therapie veröffentlicht. Oben auf der Doppelseite jeweils am oberen äußeren Rand stand neben dem üblichen Rubrikkürzel der Zeitschrift statt „Anzeige/Werbung“ lediglich der Hinweis „Promotion“. Ansonsten sah das Ganze aber genauso aus wie die übrigen redaktionellen Seiten. Der Verlag zeigte sich einsichtig. In seiner Stellungnahme teilte er mit, dass man die werblichen Seiten in Zukunft deutlicher kennzeichnen wolle.
Auch „ComputerBILD“ im Visier
Nicht nur kleinere Titel aus unbekannten Verlagen spielen gerne mit dem Feuer. Auch der Auflagenriese „ComputerBILD“ aus dem Hamburger Axel Springer Verlag wollte Anzeigenkunden mit einer redaktionell aufgemachten Sonderwerbeform ködern. So sah es zumindest für den Leser aus. Der Mobilfunkprovider Klarmobil.de durfte in der Ausgabe 4/2007 eine Seite buchen, die links wie redaktioneller Text aussah. Nur das rechte Drittel war eindeutig als Anzeige zu erkennen. Das Wörtchen „Anzeige“ stand nur rechts. Ansonsten war aber alles ähnlich aufgemacht wie beim nachgeahmten journalistischen Grundprodukt: Farbgebung der Zwischenbalken, Schriftarten, -farben und -größen sowie Tabellen – alles täuschend echt.
Die Chefredaktion redet sich hier mit einem Irrtum heraus und zeigt sich selbständig zerknirscht: Man habe die Anzeige durch ein Versehen gar nicht wie sonst vorab gesehen. „Der Anzeigenkunde habe das Motiv nicht offen gelegt, sondern darauf verwiesen, dass es sich um ein bekanntes und bereits veröffentlichtes Motiv aus der Vergangenheit handele. Dort seien das Wort „Anzeige“ größer gewesen und die Farben andere. „Nach Erscheinen des Heftes habe der Chefredakteur die Anzeige zum Thema der Redaktionskonferenz gemacht und angeordnet, das so etwas künftig nicht mehr vorkommen dürfe“, heißt es beeindruckt im Protokoll des Presserats-Ausschusses. Zwar sei die Anzeige ein Verstoß gegen Ziffer 7 des Pressekodex gewesen – die geforderte klare Trennung von Werbung und Redaktion – die Ausführungen der Rechtsabteilung nahm der Ausschuss aber lediglich zum Anlass, der Redaktion einen mahnenden „Hinweis“ zu erteilen.
Kampf gegen Windmühlenflügel?
Nach Lektüre der Fälle bleibt der Verdacht, dass der Presserat sich zwar bemüht, um in aufwändigen Verfahren sachgerecht zu urteilen. Dass die Ergebnisse aber niemanden so richtig beeindrucken können. Nicht abgedruckte Rügen sind die Regel. Von den Entscheidungen bekommt die Öffentlichkeit in der Regel nichts mit.
Die Sanktionsmöglichkeiten sind einfach zu gering, den Verlagen tut es nicht weh. Denn was sind schon hohe Werbeeinahmen gegen einen „Hinweis“ – abgewogen von den Verantwortlichen der Medienkonzerne? Doch dieses Prozedere ist anscheinend so gewollt, zumindest von den Verlagen. Was die beteiligten Journalistenverbände davon haben, ist nicht so ganz klar. Mit jedem dieser nur scheinbar erledigten Fälle erodiert das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Presse. Und diese bekommt und braucht bekanntlich deswegen besonderen Schutz und Privilegien, weil sie der öffentlichen Meinungsbildung dient und damit ein wichtiger Kontroll-Pfeiler der Demokratie ist.
Nun kann man einwenden, dass bei manchen der hier aufgeführten Zeitschriften ihre Bedeutung und damit auch die Beachtung der Presseratsrichtlinien nicht so wichtig sind. Doch leider ist in vielen anderen Fällen inzwischen Ähnliches zu beobachten. Nebengeschäfte und Merchandising bestimmen zunehmend das Geschäft auch renommierter Zeitungsverlage. Als Journalist kennt man die Begehrlichkeiten von Anzeigenabteilungen und Anzeigenkunden und die Gefahren von zu viel Nähe auf unabhängigen Journalismus nur zu gut.
Der zahnlose Tiger Presserat
Insofern ist es ein Verdienst von Andreas Eickelkamp, zu versuchen, sich mit einigen beispielhaften Beschwerden gegen die Flut der täglichen Grenzüberschreitungen zu stemmen. Anstatt sich zu sagen: „Was nützt es, jeder macht es, jeder weiß es, niemand kann etwas dagegen tun…“, zeigt er, wie man sich erfolgreich zur Wehr setzen kann. Das „Weiter so“ zu verhindern, wird aber sicher erst gelingen, wenn der zahnlose Tiger Presserat als Selbstverwaltungsorgan durch ein brauchbareres Gremium abgelöst wird – oder über wirkliche Sanktionsmöglichkeiten verfügt. Wesentlich bequemer wäre es, wenn es statt couragierter Einzelpersonen auch ein Ombudsmann von Amtswegen Beschwerde einlegen könnte. Denn allzu viele Verstöße gegen den, von den Verlagen selbst mit beschlossenem Pressekodex, werden alltäglich nicht geahndet. Weil sich keiner (mehr) die Mühe macht, sich darüber aufzuregen und weil Schleichwerbung und Product Placement anscheinend schon zur Normalität geworden sind.
Link Deutscher Presserat
Link Andreas Eickelkamp